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  • × author_ss:"Brown, L."
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  1. Brown, L.: Google auf zwei Beinen (2005) 0.00
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    Content
    "Die Fußballer sind im Toilettenschrank. Den habe sie extra bauen lassen, sagt Edda Tasiemka, Kopf in den Nacken, Füße auf Zehenspitzen, Armenach oben gestreckt, um dem Besuch zu zeigen, was sich in dem schmalen, weiß gestrichenen Kabinett unter der Decke des schmalen Raumes verbirgt. Wie eine Klavierspielerin lässt sie ihre Finger über eine Tastatur aus Ordnerrücken laufen: Pele, Robson, Rooney, Ronaldo. Alle Fußballer sorgfältig alphabetisch aneinander gereiht, nur Maradona, der liegt quer. Ordnung müsse man, haben, sonst sei man verloren, sagt Tasiemka später im Wohnzimmer, wie ein Storch über ein Meer aus vergilbten Zeitungsausschnitten stolzierend. Im Flur bilden Zeitungstürme bizarre Berglandschaften, an der Treppe droht eine Papierlawine. In der Küche stapeln sich neben einem Brotlaib verblasste Papierordner, auf denen in schwarzem Filzstift "Embryos" und "Bulimie" stehen. Noch ist es ruhig im Haus, später wird das Telefon keine Ruhe geben: Zu ihren Kunden gehören bekannte Biografen wie Michael Crick, aber auch Boulevard-Blätter wie der Daily Express. Anrufe bei einer 82-jährigen Deutschen auf der Suche nach Informationen, die selbst für große Verlagsund Zeitungshäuser nicht mehr zu finden sind, außer vielleicht in einer unauffälligen Doppelhaushälfte im Londoner Stadtteil Golders Green: "Worüber wollen Sie etwas wissen?", fragt sie und zieht energisch die Schubladen einer antiken Mahagoni-Kommode auf "Amerikanischer Bürgerkrieg? Die Hochzeit Queen Viktorias? Elle MacPherson? Lockerbie?" Chronologisch, alphabetisch, tasiemkisch: Seit 55 Jahren schneidet und sammelt Tasiemka Wissenswertes und Faktenreiches aus Zeitungen und Magazinen und verteilt es - je nach Thema - in ihrem geräumigen Haus. Artikel aus abonnierten oder geschenkten Zeitschriften, Artikel aus auf Flohmärkten aufgestöberten, hundert Jahre alten Originaleditionen, aber auch aus aktuellen Ausgaben der Sun, dem New Yorker oder Paris Match.
    Drei Mitarbeiterinnen helfen mit dem Kopieren und Verschicken von Artikeln; doch nur Tasiemka entscheidet über Ordnung und Aufteilung ihres papierenen Königreichs. Da kann es schon passieren, dass über Bush senior nur ein Ordner zu sehen ist, über Bill Clinton dafür fünf, bei Tasiemka ist in den überfüllten Schränken nicht immer Platz für Objektivität. Ihr eigenwilliges Ordnungssystem aber scheint aufzugehem: In den 80er Jahren, als viele britische Zeitungsarchive durch Protestbewegungen der Gewerkschaften geradezu gelähmt waren, sei das Archiv unentbehrlich gewesen, erinnert sich Lynn Barber vom Observer: Nirgendwo könne man sonst so schnell und' effizient Informationen bekommen. Längst gilt sie unter Journalisten als Geheimtipp, immer hat sie eine Extra-Information pa-. rat. Tasiemka, so der Königshausexperte Robert Lacey, sei eine Suchmaschine lange bevor Google erfunden wurde: ein Kompliment, dass ihr nichts sagen wird, da sie das Internet noch nie benutzt hat. Wenn sie läuft,' wippt Edda Tasiemka, leicht auf den Zehenspitzen, die geliebten' schwarzen Strumpfhosen hat sie an diesem Tag gegen dunkelblaue eingetauscht. Beine einer Balletttänzerin, Augen, die alles sehen, weiß-graue Haare im einfallenden Sonnenlicht fast transparent. "Hinter den Hogarths sind die Gurkhas": Unter ihren Hän den werden Wände zu verschiebbaren Schranktüren, MahagoniKommoden zu Museumsvitrinen, in denen Originalartikel über den Tod Abraham Lincolns berichten oder über die Hochzeit Queen Viktorias. Nichts ist im Haus wie es zu sein scheint, am wenigsten aber seine Besitzerin. Neben der Archivpflege hat sie selbst viele Jahre als Journalistin gearbeitet, für die Bravo hat sie die Beatles und Jimi Hendrix interviewt. Unter dem Dach stehen die neuen "Abteilungen": Internet, Straßenkriminalität. Derartiges gab es damals nicht, sagt Tasiemka über ihre Jugend, dafür einen richtigen Krieg. Tasiemkas Eltern waren unverheiratet, ihr Vater war Kommunist. Ihre Mutter wurde 1938 verhaftet, da war sie gerade 15: Eine vernünftige Schulausbildung gab es nicht, sagt sie, ihre Eltern "waren zu links". 1949 lernte sie ihren Mann in Hamburg kennen, ein jüdischer Journalist, der nach Jahren auf der Flucht als Übersetzer beim Kriegsverbrechertribunal arbeitete: "Schon als ich ihn zum ersten Mal traf, waren seine Hosentaschen voller Zeitungsausschnitte". Zusammen zogen sie nach London, in ihrer Einzimmerwohnung lag eine erste Kiste mit Artikeln unter dem Bett. Sie ließ sich von seiner Faszination für Geschichten anstecken: Viele Wochenenden verbrachten die Tasiemkas auf Flohmärkten mit der Suche nach alten Zeitschriften. Zu ihren Schätzen gehört eine Sammlung der Belle Epoque Zeitschrift Le Rire mit Illustrationen Toulouse-Lautrecs.
    Nach dem Tod ihres Mannes 1979 taufte Edda Tasiemka ihre gemeinsame Artikelsammlung das "Hans Tasiemka Archiv. In einem schmalen, ledergebundenen, roten Buch stehen sie, die Aufträge der vergangenen Woche: Justin Timberlake, David Blunkett, Hugh Grant. Wer wollte über sie etwas wissen und warum jetzt? Ein Dutzend Ausschnitte kostet kostet etwa 35 Pfund, wenn es schnell gehen muss, werden diese auch mal durchgefaxt. Aufgelistet steht steht auch: "Tony Blair und Frauenmagazine". Wenige Tage später wird großes Interview mit dem Premierin der Cosmopolitan erscheinen. Heute vergilben die Zeitungen schon nach drei Wochen, sagt Tasiernka. Wie zum Beweis liegt eine Guardian-Ausgabe auf einem Treppenabsatz, weniger als ein Jahr alt: "Kellys erschreckende Wörter: Irendwann wird man mich tot im Wald auffinden", steht dort vorwurfsvoll in dicken, schwarzen Buchstaben über den britischen Experten für Massenvernichtungswaffen. Wer erinnert sich heute noch daran? Wenige Wochen später wurde aus der skandalumwitterten Schlagzeile traurige Wirklichkeit. Der letzte, den sie mit ins Bett nahm, sei Orlando Bloom gewesen, seufzt Tasiemka, der Ausschnitt liegt noch auf ihrem Nachttisch. Immer wieder passiert es, dass sie ein Thema recherchiert und dabei über interessante Details stolpert, hängen bleibt. Jetzt sucht Tasiemka einen Nachfolger für ihr Archiv. Bei dem Wort "Museum" blitzt Empörung in den dunk len Augen auf; Tasiemka möchte, dass das Archiv weiter betrieben und gepflegt wird. Sie hofft auf eine Universität. An der Tür eine letzte Bitte: Tasiemka hätte gerne ein Belegexemplar. Unter dem Dach stapelt sich ein noch heimatloser Haufen Ordner, auf denen die Namen verschiedener Journalisten stehen."