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  • × author_ss:"Guha, A.-A."
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  1. Guha, A.-A.: ¬Der Widerspruch im Menschen (2001) 0.01
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    Content
    "Drei schwere Kränkungen habe die neuzeitliche Wissenschaft dem Selbstverständnis des Menschen angetan, meinte Sigmund Freud, der Entdecker der Psychoanalyse: Die erste Kränkung habe ihm Johannes Kepler mit dem Nachweis zugefügt, dass nicht die Erde im Zentrum des Universums stehe; die zweite Charles Darwin mit' seiner Theorie, dass der Mensch von tierischen Vorfahren abstamme. Die dritte Kränkung, so schmeichelte sich Freud, habe er selbst mit seiner These verursacht, dass des Menschen (Willens-)Freiheit nur begrenzt und er "nicht Herr im eigenen Hause" sei. Die vierte Kränkung. Nun kommt offenbar eine vierte Kränkung hinzu, vielleicht die schwerste: Der Mensch ist ein Widerspruch der Evolution - und dieser Widerspruch könnte sich selbst eliminieren. Völlig neu ist diese Annahme nicht. Hielt man die Ansicht des Barockdichters Andreas Gryphius, der Mensch könne je nachdem Gott' oder Teufel sein", noch für eine der üblichen Klagen über die Sündhaftigkeit des gottfernen Homo sapiens, so hat die These des Schriftstellers Arthur Koestler, der Mensch sei ein "Irrläufer der Natur", trotz aller Verdrängung wissenschaftsgeschichtliche Wirkung gezeigt. Man muss schon von Verdrängung sprechen, wenn auf wissenschaftlich hochkarätig besetzten Symposien wie jetzt bei den Millennium-Tagen in Kassel ein Neurologe (Ernst Pöppel) eher beiläufig erklärt, das Gehirn des Menschen habe sich seit mehr als 70 000 Jahren nicht verändert. Die politische und gesellschafts- sowie kulturkritische Brisanz dieser Aussage müsste jedem unter die Haut gehen. Denn wie konnte der Mensch hochkomplexe Industriegesellschaften oder Waffensysteme entwickeln und wie findet er sich in ihnen zurecht, wenn der Denkapparat immer noch auf die (Über-)Lebensbedingungen der Altsteinzeit eingestellt ist? Und noch wichtiger: Wie zügelt dieses Großhirn mit Sitz der Vernunft und des rationalen Abwägens die urtümlichen "Leidenschaften" aus viel älteren Hirnteilen? Hier wohnen Hass, Neid, Angst, Gier - die den Menschen zum Töten des Artgenossen antreiben. Das Gehirn ist auf den Umgang mit Faustkeil und Lanze "geeicht", verfügt jedoch über Maschinengewehre, Düsenjets, Laserbomben und Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen. Der Widerspruch des Menschen liegt in seinen zwei "Wesenhaftigkeiten" oder Naturen. Seine erste "Natur" entwickelte sich im Laufe seiner Stammesgeschichte oder Phylogenese (griech. phylos, der Stamm; genesis, die Entwicklung). Sie muss unmittelbar mit seiner "zweiten Natur", der Intelligenz- oder Kulturentwicklung, gedacht werden. Die Phylogenese wirkte auf die Intelligenzentwicklung ein, diese (auch Ontogenese genannt; griech. oos, das Seiende; genesis, die Entwicklung) wirkte zurück auf die Phylogenese. Ohne Kultur wäre der Mensch nicht lebensfähig. Diese Menschwerdung ist ein ebenso faszinierender wie komplex vernetzter Prozess. Die Folge dieses "Dualismus" sind Verhaltensweisen, die stammesgeschichtlich zweckmäßig, also ,gut' gewesen sind, ontogenetisch, also in der Kultur, unzweckmäßig, ja gefährlich werden können; dann gelten sie auch als moralisch "böse" und juristisch als gesetzwidrig. Andererseits werden zweckmäßige Verhaltensweisen oder Bedürfnisse wie Zuwendung, Fürsorge und Anerkennung auch von der Kultur sträflich missachtet. Das wohl schwerstwiegende Beispiel für diesen Widerspruch ist die leichte Bereitschaft (nicht unbedingt der Trieb) zur Tötung des Artgenossen. Zwar dürfte der Mord in der eigenen Gruppe oder Horde stets tabuisiert und mit Strafe bedroht gewesen sein, nicht aber die Tötung des Fremden; diese war meist "Pflicht". Es hat sich wenig geändert. Viele Indizien sprechen dafür, dass der Selektionsdruck, der die Anthropogenese vom affenähnlichen Ramapithecus über die Hominiden zum "Homo sapiens sapiens" bewirkte, zumindest auch vom werdenden Menschen ausging. Weder eine gefährliche Umwelt noch wilde Tiere waren die entscheidenden Impulse für die Menschwerdung. Die Hominidengruppen mussten sich vielmehr gegeneinander behaupten, sie waren sich gnadenlose Konkurrenten um knappe Lebensräume und waren sich Beute.
    Footnote
    Kein Instinkt hemmte sie, Reviergrenzen zu überschreiten. Wer listiger war und die wirksameren Waffen entwickelte - alles Intelligenzleistungen -, hatte einen Überlebensvorteil. Diese Fähigkeiten wurden ins Genom übernommen und vererbbar, gleichzeitig förderten sie die Entwicklung des Großhirns, also die Kultur, Wissenschaft und Kunst. Die Konsequenzen dieser Theorie für das überkommene Verständnis des Menschen von sich selbst wären ungeheuerlich - man denke etwa an Thomas Hobbes' Formulierung Homo homini lupus, der Mensch verhält sich zum Menschen wie ein Wolf. Sie erklären zunächst, weshalb es bis jetzt nicht gelungen ist, den Menschen als Art zu befrieden und archaische Reaktionsmuster außer Kraft zu setzen, sei es das Vergeltungsprinzip - Gewalt gegen Gewalt - sei es die Rechtfertigung von Gewalt als sittlich notwendiger (patriotischer) Tat, sei es der Gehorsam gegenüber dem Befehl. Auch Legitimierungsrituale entspringen nicht zuletzt der "Antiquiertheit" der Denkvoraussetzungen. Keine Krone der Schöpfung. Die Untersuchung des Politikwissenschaftlers Rudolph J. Rummel (Death by Government) ist ein entsetzlicher Beleg dafür. Laut Rummel wurden im 20. Jahrhundert 110 Millionen Soldaten und 192 Millionen Zivilisten durch Staatsterror ein-schließlich Bombardierungen umgebracht, weitaus mehr als in der Zeit zwischen 600 v Chr. und 1899. Biologie und Verhaltensforschung haben längst Abschied genommen von der These, der Mensch sei die Krone der Schöpfung. Seine Gewaltbereitschaft und die Rechtfertigung von Gewalt müssen jedoch aufgedeckt werden, auch wenn es schockiert. Gewaltbereitschaft ist, obwohl im Genom angelegt, dennoch nicht unvermeidlich. Als einziger Ausweg bietet sich die Erziehung zum Frieden und zur charakterlich autonomen Persönlichkeit an. Die Methoden, wie diese hohen Ziele erreicht werden könnten, sind leider strittig.