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  • × author_ss:"Thomas, C."
  • × theme_ss:"Biographische Darstellungen"
  1. Thomas, C.: ¬Der Bote aus der Ferne : Hermeneutik der Erfahrung: Anmerkungen aus Anlass des Todes von Hans-Georg Gadamer (2002) 0.01
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    Content
    "Hermes hieß der Bote, und er kam von weither. Nicht jeder Mensch müsse ihn kennen, schrieb Hans-Georg Gadamer, das war 1968, auf dem Gipfelpunkt der Protestbewegung. Aber, so der Philosoph in seinem Nachtrag zu seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode, es gebe nach wie vor Menschen, die von Hermes wüssten. Die ihn, seinerzeit bereits eine Auffälligkeit, wiedererkennen würden als den Götterboten: dazu bestimmt, den Menschen den Willen der Götter nahe zu bringen und auseinander zu setzen. Hermes, schrieb Gadamer, war der erste Dolmetscher. Und wie schwierig, so der Heidelberger Philosoph, das Geschäft des Übersetzens. Denn wie unabsehbar bereits die Transaktion der Reflexion. Hans-Georg Gadamer, der gestern in Heidelberg starb, ist 102 Jahre alt geworden, und manchmal, immer dann, wenn man ihn las, seine Platon- und Aristoteles-Studien, wenn man seine Faszination für die Griechen verfolgte, wenn man seinem Wissen staunend folgte, schien der Autor selbst aus jener griechischen Ferne zu stammen, trotz Schleiermacher und Hegel, trotz Husserl und Heidegger. Gadamer, der Bote. Hermes also. Heute heißt derart ein Textverarbeitungssystem, es wird in allen größeren Zeitungsredaktionen der Republik betrieben, dazu bestimmt, den Lesern - ja was: Informationen aus aller Welt zu übermitteln? Oder die Wirklichkeit dem Willen der Redakteure auszusetzen? Mit Hermes schreibt sich über Hermes anders. Genau darauf würde Hans-Georg Gadamer, darauf würde seine philosophische Hermeneutik bestehen: auf dieser Differenz. - Verstehen als Neuentwurf - Gadamer ist ein Denker der Differenz gewesen, ein Analytiker des Zwischen. Ein Interpret des Vertrauten und des Fremden - vor allem des Abstands zwischen diesen Seinsweisen. Als Hermeneutiker hat er die besonderen Umstände jeder Erkenntnis rehabilitiert, die Augenblicksabhängigkeit jeder Einsicht immer wieder denkend umkreist. Dazu gehörte das Vorurteil erst recht, also das, was die Philosophie der Aufklärung als Erkenntnismittel denunziert hatte. Das berühmte, das berüchtigte Vorurteil Gadamers. Er hat es zugelassen im Rahmen seiner Kunst der Hermeneutik. Gadamers hermeneutische Regel folgte dem Gedanken Schleiermachers, wonach die Kunst der Interpretation im Verständnis des Ganzen aus dem Einzelnen und des Einzelnen aus dein Ganzen bestehe. Gadamer erweiterte diesen Gedanken jedoch entscheidend dahingehend, dass die Sinnbewegung des Verstehens und Auslegens in einem ständigen Neuentwerfen bestehe, abhängig immer von bereits vorgefassten Meinungen, ernst zu nehmen nur dann, wenn in dem "Verstehen von etwas Anderem oder eines Anderen Selbstkritik vor sich geht". Verstehen als das tägliche update. Allein in dieser Methode bricht sich die Wahrheit Bahn. Damit konfrontierte er, der den Monopolanspruch der MethodenIdee stets in Zweifel gezogen hat, die Geisteswissenschaften mit nichtsanderem als mit der Frage nach ihrem Selbstverständnis. Verstehen als unendliche Anstrengung - das bezog er jedoch nicht allein auf die Textexegese, auch die existenzielle Dimension aller Entdeckung des Seins, von Heidegger angestoßen, rumort in Gadamers Werk. Wer Gadamer liest, wird immer wieder mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert. Das größte Geheimnis des Lebens; sein schönstes Mirakel, aber war für ihn die Sprache, nicht nur als Faktum - sondern als "Prinzip". Denn alle Welterkenntnis ist sprachlich vermittelt, so die philosophische Dimension dieses Axioms. Wobei noch der alte Mann, Gadamer war längst emeritiert, auch der sozialwissenschaftlichen Perspektive dieser Erkenntnis nachging: Gesellschaft als sprachlich verständigtes Dasein.
    Im Herbst 1947 kam er nach Frankfurt, 1949 folgte er- dem Ruf nach Heidelberg als Nachfolger von Karl Jaspers. 1960 erschien sein Opus Magnum, Wahrheit und Methode, ein Band mit Ergänzungen und Weiterentwicklungen folgte rasch, all das war Ausdruck einer Doppelstrategie, die dem hermeneutischen Regelwerk- frönte. Damit wurde signalisiert: nur ja keine. Sehnsucht nach der großen Synthese. Vielmehr ein ständiger Stimulus zum Fortgang der hermeneutischen Praxis. Erfahrung war das Zauberwort, nicht die Konstruktion der Schlüssel zur Erklärung der Welt: In der hermeneutischen Prags Gadamers hat immer eine heillose Unruhe geschwelt. Sie betraf weniger die Frage: Was ist Wahrheit? Denn diese Frage war für Gadamer weniger beunruhigend als vielmehr der Gedanke über das Verhältnis von Sprache und Verstehen. Innewerden, das ist das große Thema seines Lebens gewesen: Innewerden, wie er sagte, ' wozu, neben der Parusie, der (theologisch gefärbten) Teilhabe an einem absoiuten Augenblick, immer wieder auch Verstummen und Schweigen gehört haben. Im Jahr 1968 wurde er emeritiert. Erst recht seitdem legendär seine Auftritte, in Deutschland, in Paris, in Italien, in Nordamerika. . Der Greis war ein Welten bummler, auch .in einem- legeren Cordan-zug, so halten es Fotos fest. Oder man sah einen festlich gestimmten Redner, der, als es darauf ankam, ein infernalisches Motorradtreffen übertönte, auf der Agora vorm münsterschen Rathaus, beim Lyrikertreffen 1985, als er über moderne Lyrik sprach. Und jenseits der Anekdoten? Jenseits sagenhafter Storys, wozu mancher Auftritt auf den Kathedern der Studentenbewegung gehörte: Der Einfluss des damals bereits über 80-Jährigen auf die Dekonstruktivisten ist enorm gewesen. Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel haben sich schon Ende der 60er Jahre an ihm gerieben, wie dann auch später ein Richard Rorty, Habermas' ideologiekritische Perspektive hat die Universalität der Hermeneutik, entschieden bestritten und den blinden Fleck von Gadamers Traditionsbejahung beschrieben: Er hat den Glauben Gadamers an die "zivilisierende Kraft der Tradition" (Habermas) gewürdigt, ohne die prekäre Kehrseite der "bildenden Kraft der Tradition" angesichts der Katastrophen gerade der deutschen Geschichte zu ignorieren. Gadamers Werk hat eine gewaltige Rezeption in den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften verfahren, die Kunstge-schichtsschreibung dagegen (ebenso wenig, wie die Architekturhistorie) hat den Reichtum seiner besonderen Vergenwärtigung antiker Monumente bis heute nicht erkannt, seine immer wieder grandiose Horizontverscbmelzung von Vergangenheit und Gegenwart nicht beachtet. Gerade in dieser Verschmelzung der Horizonte ist das Vorvergangene von Staunen machender Sinnlichkeit, und wie Gadamer die Ferne aus der Gegenwart sah, weitete sich der aktuelle Blick zur ontologischen Perspektive: